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Obwohl wir unser Ziel kennen und es unbedingt erreichen wollen, verhalten wir uns immer wieder auf eine Weise, die uns vom Weg abbringt – wieso nur? Welcher sinnvolle Mechanismus sich hinter selbstsabotierendem Verhalten verstecken kann und wie sich das unerwünschte Scheitern vermeiden lässt, erklärt Ragnhild Struss.

Wir verharren in einem Job, der uns nicht guttut, verschieben unliebsame Aufgaben wie die Steuererklärung immer wieder, bis es richtig teuer wird, oder verbringen jeden Abend mit der Chipstüte vor Netflix, statt uns nach einem langen Arbeitstag zu bewegen. Solches oder ähnliches Verhalten kennen wir alle: Wir agieren auf eine Weise, die uns langfristig schadet, weil wir uns irgendwie überfordert, antriebsschwach oder gelangweilt fühlen. 

Doch statt das Problem bei der Wurzel zu packen, halten wir einen nicht authentischen Lebensstil aufrecht oder arbeiten sogar gegen unsere eigentliche Bestimmung an. Was verbirgt sich hinter diesem scheinbar paradoxen Verhalten und wie können wir Selbstsabotage überwinden?

Was genau ist Selbstsabotage?

Selbstsabotage beschreibt als psychologisches Konzept Verhaltensweisen oder Gedankenmuster, die eine Person von dem abhalten, was für sie eigentlich positiv wäre: persönliche Ziele zu erreichen, berufliche Chancen wahrzunehmen oder sich selbst zu verwirklichen und eigene Werte zu leben. Und das, obwohl sie die Fähigkeiten und das Potenzial hat, es anders zu machen. Selbstsabotage bedeutet im weiteren Sinne, dass wir in unliebsamen bzw. unauthentischen Umständen verharren und unserem authentischen Selbstausdruck entgegenwirken. Sie kann in vielen Lebensbereichen auftreten, einschließlich Karriere, Beziehungen, persönlicher Entwicklung und Gesundheit. 

Wir alle nutzen solche Mechanismen immer mal wieder und meistens sind sie uns nicht bewusst. Wie ferngesteuert öffnen wir beispielsweise unser Handy-Game oder greifen zum Schokoriegel, wenn wir gestresst sind, statt uns damit auseinanderzusetzen, wo gerade das Problem liegt und wie wir es lösen könnten. Manchmal ist uns unser eher schädliches Verhalten jedoch auch bewusst und wir verharren trotzdem darin: Statt wie geplant zu lesen, öffnen wir mit einem kurzen Gefühl schlechten Gewissens doch wieder Netflix, oder wir reden uns ein, die aktuellen Stellenangebote seien einfach nichts für uns, während wir Monat um Monat, Jahr für Jahr von unserem Job genervt sind. Das Ausmaß ist uns oft nicht klar, doch Selbstsabotage ist ein echtes Hindernis für persönliches Wachstum und Erfolg, führt langfristig zu Frustration und Unzufriedenheit und kann uns – je nach Verhalten – sogar krank machen.

Obgleich es paradox klingt, erfüllen alle unsere Verhaltensweisen und Gefühle, auch die absolut „unlogisch“ wirkenden, einen Zweck für unsere eigene Psyche. In diesem Sinne handeln wir immer rational. Auch dann, wenn wir uns schaden. Sabotieren wir uns wiederholt selbst, deutet das darauf hin, dass unser aktuelles Leben nicht das ist, was wir führen möchten. Die Selbstsabotage macht auf ein wichtiges Bedürfnis aufmerksam, was wir nicht ausreichend erkannt haben oder was nicht erfüllt wurde bzw. wird. Wer berufliche Chancen verpasst, will vielleicht lieber etwas anderes machen, wer zu viel isst, möchte eventuell mehr Gemütlichkeit und Versorgung spüren. Im Grunde ist Selbstsabotage also ein recht intelligenter Mechanismus, um einen negierten Wunsch oder nicht beachtete Sehnsucht zu erfüllen, jedoch ohne klar zu adressieren, was das eigentliche Bedürfnis ist. Die folgenden Fallbeispiele veranschaulichen diesen Zusammenhang:

⚡Ein Coaching-Klient fällt nach sehr langem Jura-Studium wiederholt durch das erste Staatsexamen, obwohl er die Intelligenz hat, es zu schaffen. In der Beratung kommt heraus, dass er seinen Vater und Großvater stolz machen will und deshalb, wie sie Jura studiert. Aber im Grunde möchte er inhaltlich etwas anderes machen und nicht in die Kanzlei seiner Familie einsteigen. Sich im Studium zu sabotieren, erfüllt ihm genau diesen insgeheimen Wunsch: Wenn er durchfällt, wird der Anspruch von aussen ausgehebelt. Es gibt dann „offiziell“ und „faktisch“ keinen Weg zurück zu einer juristischen Karriere. 
 

⚡ Eine Strategieberaterin sorgt für negatives Feedback im Mitarbeitenden-Gespräch, indem sie unorganisiert ist und durch Prokrastination wertvolle Chancen im Kundenkontakt vergeudet. Ihre Schludrigkeit ist wie eine Art stiller Protest der Psyche zu werten, weil sie eigentlich viel lieber mehr berufliche Freiheiten hätte. Ihr Innerstes hält den Zustand eines Lebens als Strategieberaterin nicht aus – es ist ihr zwar nicht bewusst, aber unbewusst sabotiert sie ihr unauthentisches Leben. Eventuell so lange, bis sie entlassen wird und damit die Freiheit hat, sich etwas Neues zu suchen. 


⚡ Eine Person sabotiert immer wieder Liebesbeziehungen. Was dahinter steht, ist, dass sie sich eigentlich erst einmal selbst finden möchte. Zwar ist sie davon überzeugt, sich eigentlich eine Partnerschaft zu wünschen. Ihr Inneres spürt jedoch, dass es in der persönlichen Entwicklung zunächst um den Aufbau eines unabhängigen stabilen Selbstwertes gehen muss, bevor eine glückliche Beziehung möglich ist. 
 

⚡Ein Kundenberater in einer Werbeagentur nimmt stetig an Gewicht zu, weil er anhaltend zu viel isst. Dieses Verhalten kann bei genauerer Analyse als Zeichen für einen Widerstand gegen die in seinen Augen oberflächliche Werbewelt gesehen werden. Das Essen erfüllt sein Bedürfnis nach Erholung, Pause und Versorgung. Er ist eigentlich emotional hungrig, weil er sein tiefgründiges Wesen im Beruf gefühlt nicht ausleben kann.

Quelle

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